Volkskrankheit Rückenschmerzen – wie Beschäftigte und Unternehmen vorbeugen können.
Ob oberer oder unterer Rücken – Schmerzen hier sind inzwischen zur Volkskrankheit geworden. Dabei lässt sich mit wenig Aufwand gegensteuern, wenn Arbeitnehmer und Unternehmen gemeinsam aktiv werden. Foto: Adobestock
Rund 80 Prozent aller Deutschen leiden mindestens gelegentlich unter Rückenschmerzen. Das liegt auch daran, dass immer mehr Jobs fast ausschließlich im Sitzen ausgeführt werden. Doch es geht auch anders.
„Jeder hat doch irgendwie mal Rücken!“ Diesen Satz hat Verena Gehrisch schon oft gehört. Und eigentlich stimmt er ja auch. Mehr als ein Drittel aller Sachsen war schon einmal wegen Rückenbeschwerden in ärztlicher Behandlung. Zählt man noch jene Menschen hinzu, die gelegentliche Rückenschmerzen selbst behandeln – oder zunächst ignorieren – steigt der Anteil einer Untersuchung der Krankenkasse AOK zufolge schnell auf rund 80 Prozent. Ein echtes Volksleiden also. Wenn aber jeder „Rücken hat“, werden Probleme wie die von Verena Gehrisch schnell weniger ernst genommen. „Ich hatte oft das Gefühl, dass meine Schmerzen irgendwie normal wären. Dabei konnte ich viele Tage nur noch mit Tabletten überstehen“, erzählt die gebürtige Dresdnerin, die inzwischen in Schleswig-Holstein lebt.
Die Leidensgeschichte der gelernten Bankkauffrau begann schon in der frühen Jugend. Seit ihrer Ausbildung hatte sie regelmäßig Schmerzen, mal im Schulterbereich, mal eher im unteren Rücken. Mit den Berufsjahren wurden die Schmerzen an vielen Tagen unerträglich. „Ich konnte nicht lange sitzen, nicht lange stehen – nur laufen ging – irgendwie“, erinnert sich die heute Anfang 40-Jährige. In ihrem Beruf aber musste Verena Gehrisch viel sitzen. „Eigentlich saß ich den ganzen Tag über. Und im Beratungsgespräch mit Kunden einfach mal aufstehen und ein paar Schritte um den Tisch gehen – das ging nicht wirklich“, erzählt sie. Physiotherapie konnte das Problem ebenso wenig lösen wie wahlweise Wärme – oder Kältebehandlungen. Schließlich sagte ihr ein befreundeter Fitnesstrainer knallhart: „Wenn du weiter den ganzen Tag sitzt, machst du dich endgültig kaputt.“
Büroausstattung als Gamechanger
Das sei eine Art Weckruf gewesen, erinnert sich Verena Gehrisch. Sie nahm ihren Mut zusammen und ging zur Personalabteilung ihres Arbeitgebers. „Ich habe gesagt, dass ich gerne arbeite – aber wegen meiner Rückenschmerzen nicht mehr gut arbeiten kann. Und dass ich die Möglichkeit brauche, mich im Arbeitsalltag bewegen zu können – mal stehen, mal ein paar Schritte gehen, mal sitzen.“ Was sie selbst nicht so recht geglaubt hatte, trat ein: Die Personalverantwortlichen nahmen das Problem ernst. Verena Gehrisch bekam einen höhenverstellbaren Schreibtisch, der bei Bedarf zum Stehtisch umfunktioniert werden konnte, dazu einen neuen, ergonomischen Stuhl. „Der Gamechanger“, sagt Verena Gehrisch. Die Schmerzen wurden weniger, Tabletten brauchte die Bankkauffrau nur noch in Ausnahmefällen. „Als ich eine komplette Woche schmerzfrei war, habe ich eine Flasche Sekt aufgemacht“, erzählt sie.
Gleichzeitig habe die Tatsache, dass ihr Arbeitgeber ihre Probleme ernst genommen und aktiv in die Lösung investiert hatte, ihre Motivation gestärkt. Und tatsächlich ist die mentale Ebene beim Themen Rückengesundheit im Job durchaus relevant. Das hat ein Team von Psychologen der TU Dresden gemeinsam mit Experten aus den Gesundheitswissenschaften und der Arbeitsmedizin sowie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Baua) in einer Meta-Analyse herausgefunden. Gemeinsam haben sie psychosoziale Arbeitsmerkmale identifiziert, die im Zusammenhang mit dem Auftreten von chronischen Schmerzen im unteren Rücken – der weit verbreiteten Chronic low back pain (CLBP) – stehen. Dazu hatte das Forscherteam über 19.000 Datensätze aus 18 Studien ausgewertet. Und das Ergebnis war eindeutig: „Menschen mit hoher Arbeitsbelastung litten häufiger an chronischem Rückschmerz. Arbeitnehmer mit größeren Handlungs- und Entscheidungsspielräumen auf Arbeit waren weniger betroffen. Es konnte auch gezeigt werden, dass Rückenschmerzen weniger auftraten, wenn betroffene Menschen am Arbeitsplatz soziale Unterstützung von ihren Vorgesetzten und Kollegen erfuhren“, so Sozialpsychologin Dr. Anne Tomaschek, die an der Untersuchung beteiligt war.
Rückengesundheit sollte höchste Priorität haben
Eine aktuelle Umfrage im Auftrag der Aktion Gesunder Rücken (AGR) e. V. ergab indes, dass allein schon ergonomische Sitzmöbel einen spürbaren Effekt bei Rückenleiden haben. Genau wie im Fall von Verena Gehrisch. Reichlich die Hälfte der Befragten kann solches Mobiliar inzwischen nutzen. Vor allem in kleineren Unternehmen tut man sich bisweilen aber noch schwer, hier zu investieren. Angesichts der Zahlen in Bezug auf Rückenleiden sei das ein Problem. „Die Zahlen sind alarmierend“, sagt AGR-Geschäftsführer Detlef Detjen. „Es ist höchste Zeit, der Rückengesundheit in der betrieblichen Gesundheitsförderung oberste Priorität einzuräumen, sonst riskieren wir eine ganze Generation mit immer wiederkehrenden oder sogar chronischen Rückenschmerzen.“
Oft sind die Kosten für entsprechende Entlastungsangebote durchaus überschaubar. Manchmal helfe bereits die Möglichkeit, mehr Tage aus dem Homeoffice zu arbeiten, wo Betroffene entsprechende Hilfs- und Entlastungsmöglichkeiten haben. Völlig kostenlos sind kleine Übungen, die in den Arbeitsalltag eingebaut werden – etwa, indem Kopf und Schultern bewusst in Balance gebracht und die Sitzpositionen öfter gewechselt werden.
Das Betriebliche Gesundheitsmanagement hat in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen – auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels, der Unternehmen stärker motiviert, in Gesundheit und Wohlbefinden der Mitarbeiter zu investieren. Rückenkurse gehören zu den am häufigsten angebotenen Leistungen. Allerdings ist auch hier noch Luft nach oben. Das zeigt ein Blick in eine Erwerbstätigen-Befragung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) in Kooperation mit der Baua. Demnach hatte weniger als die Hälfte der insgesamt knapp 18.000 befragten Beschäftigten von ihrem Betrieb in den vorangegangenen zwei Jahren ein Angebot zur Gesundheitsförderung bekommen. Die Teilnahmequote lag bei 59 Prozent.
Angebote müssen auch wahrgenommen werden
„Die Auswertung verdeutlichte, dass ein Nachholbedarf sowohl beim Angebot der Unternehmen als auch bei der Teilnahme von Beschäftigten besteht. Allerdings zeigte sich, dass einige Merkmale von Unternehmen die Wahrscheinlichkeit von durchgeführten Maßnahmen erhöhen“, heißt es in der Auswertung. Dazu gehören die Betriebsgröße, das Vorhandensein eines Betriebs- oder Personalrates, ein gutes Betriebsklima sowie die Zufriedenheit mit den Vorgesetzten. Gemeinsam gegen Rückenschmerzen – das klingt auf den ersten Blick seltsam, ergibt aber durchaus Sinn. Unternehmen, die ihren Mitarbeitern die Möglichkeit einräumen, so zu arbeiten, wie es ihrem Rücken guttut, schaffen am Ende eine Win-Win-Situation. Bei Verena Gehrisch war es genauso. „Ich hatte überlegt, meinen Arbeitgeber zu wechseln. Nachdem er mit beim Thema Rücken so entgegengekommen ist, bin ich geblieben, habe mich weitergebildet und trage heute selbst Verantwortung für ein Team. Das hätte ich mir früher wohl nicht zugetraut – vor allem hätte ich es aufgrund meiner Schmerzen auch gar nicht geschafft“, sagt sie.
Am 15. März ist Tag der Rückengesundheit. Veranstalter sind die Aktion Gesunder Rücken (AGR) e. V. und der Bundesverband deutscher Rückenschulen (BdR) e. V. Bundesweit gibt es dann zahlreiche Angebote rund um das Thema Rückengesundheit – virtuell und in Präsenz. Einen Überblick über die Veranstaltungen finden Interessierte hier.