Onboarding: Top-Job oder Job-Flop?
Willkommen im Team – das klappt nicht immer gut. Mancher neue Mitarbeiter kündigt schon nach wenigen Tagen wieder. Fotos: Adobestock
Mancher Beschäftigte denkt schon am ersten Tag in der neuen Firma an die Kündigung, andere treten den zusagten Job gar nicht erst an. Ein gutes Onboarding kann das verhindern.
Eigentlich war Tim Siebert hoch motiviert. Das Bewerbungsgespräch für den neuen Job war gut gelaufen, der Arbeitsvertrag lag wenig später im Briefkasten. Doch schon nach dem ersten Arbeitstag hatte der 34-Jährige ein flaues Gefühl im Magen. Irgendwie hatte er sich den Job doch etwas anders vorgestellt, und von einem Großraumbüro mit 20 weiteren Kollegen war so im Vorgespräch auch nicht die Rede gewesen. Außerdem: hatte sich nicht letzte Woche noch ein Recruiter eines anderen Unternehmens bei ihm gemeldet? Den würde Tim Siebert nun doch mal anrufen. Schon am ersten Tag mindestens indirekt an die Kündigung denken – das klingt sehr viel ungewöhnlicher, als es ist. Und: Nicht wenige Arbeitnehmer treten den zugesagten Job sogar gar nicht erst an. Sie kündigen den frisch unterschriebenen Vertrag noch vor dem ersten Tag im Dienst. Immerhin 36 Prozent der Personalverantwortlichen, die der Software-Hersteller Haufe im Rahmen einer Studie zum Thema Onboarding – also der Einführung neuer Mitarbeiter ins Unternehmern – befragt hatte, gaben an, dass ihnen genau das schon passiert ist.
Aber wie kann es sein, dass Erwartungen, die noch beim Vertragsabschluss gut zusammengepasst haben, plötzlich so weit auseinandergehen? Eine Frage, die in Zeiten des Fachkräftemangels immer wichtiger wird, denn je mehr Betriebe Personal suchen, desto weniger Kompromisse müssen Bewerber machen. Einfacher gesagt: Kommt ein besseres Jobangebot um die Ecke, lässt man das gerade angenommene wieder sausen. Für Unternehmen ist das in mehrfacher Hinsicht problematisch. Zum einen bleiben Stellen länger unbesetzt als geplant, was wiederum zu Mehrarbeit für andere Mitarbeiter führt. Zum anderen ist die Personalsuche heute durchaus aufwendig und der Frust nach mehrfachen Spontan-Absagen entsprechend hoch.
Er könnte nach Ansicht von Experten verringert werden, wenn Erwartungen von beiden Seiten klarer kommuniziert werden. Und tatsächlich gaben auch in der Haufe-Studie 56 Prozent der Befragten Recruiting-Profis an, dass neue Bewerber andere Vorstellungen von der Arbeit beziehungsweise dem Umfeld hatten und das Unternehmen deshalb schnell wieder verlassen haben. Nicht zu unterschätzen sind dabei die sogenannten weichen Faktoren. Ist die Stimmung im Team gut? Herrscht ein freundlicher Umgangston? Sind Fragen der Neulinge wirklich willkommen oder werden sie eher unwirsch abgebügelt? Gerade, wer neu in eine Abteilung kommt, sieht mit dem Blick von außen schnell, woran es im Teamgefüge hakt. Fühlt er sich zusätzlich noch wenig willkommen, ist die Entscheidung für die schnelle Kündigung rasch gefallen.
Die weichen Faktoren im Blick
Was hilft? Zum Beispiel Transparenz. Ist die Arbeit immer ziemlich stressig oder gibt es gerade nur eine außergewöhnliche Auftragslage? Sorgt ein hoher Krankenstand temporär für eine Mehrbelastung? Personalverantwortliche sollten diese und andere besondere Umstände offen kommunizieren und vor allem aufzeigen, dass an bestehenden Problemen gearbeitet wird. Dann bleibt der Bewerber vielleicht trotz erster Hürden im Rennen. Gleiches gilt für die Teamkultur. Ein Treffen am tatsächlichen Arbeitsplatz kann sinnvoller sein als eines, das ausschließlich im Büro der Personalabteilung stattfindet. Immer mehr Menschen legen Wert auf ein angenehmes Arbeitsumfeld. Löst der erste Blick auf den künftigen Schreibtisch ein gutes Gefühl aus, ist das ebenfalls ein Pluspunkt. Das Onboarding – noch vor wenigen Jahren ein eher wenig beachteter Bereich der Mitarbeitergewinnung – gilt heute als wichtiger denn je. Immerhin 21 Prozent der von Haufe befragten Personaler gaben an, dass „schlechtes“ Onboarding wohl öfter ein Grund für die Fluktuation im eigenen Betrieb war. Neue Mitarbeiter von Anfang an, das heißt, bereits vor dem ersten Arbeitstag, langsam ans Unternehmen zu binden, gilt als gute Möglichkeit, am Ende tatsächlich einen Recruiting-Erfolg verbuchen zu können. Vor allem größere Firmen setzen inzwischen auf eigens entwickelte Onboarding-Prozesse, die von der Zusage bis in die ersten Wochen nach dem Jobantritt reichen. Das erklärte Ziel: Der oder die Neue soll sich willkommen fühlen und möglichst ohne Druck im künftigen Arbeitsumfeld ankommen. Klar, dass der Computer entsprechend fertig eingerichtet, das Diensthandy freigeschaltet, der Mitarbeiterausweis parat ist. Dazu steht ein Kollege als konkreter Ansprechpartner für alle Fragen bereit, die Personalabteilung fragt ehrliches Feedback ab und bemüht sich ihrerseits, eventuelle Probleme in den ersten Tagen schnell zu lösen.
Das hätte vielleicht auch Tim Siebert von der Kündigung nach der ersten Arbeitswoche abgehalten. Er aber hatte den Eindruck, mehr oder weniger sich selbst überlassen worden zu sein. Sein neuer Arbeitgeber hat es besser gemacht und ihn noch vor der Zusage zum Teamfrühstück eingeladen. Da war das Eis schnell gebrochen. An Kündigung hat er in den knapp zwei Jahren seit seinem Jobantritt nicht gedacht.
Von Annett Kschieschan