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Mehr Potenzial als oft vermutet

Viele Menschen mit Behinderung sind sehr gut ausgebildet und damit genau das, was Unternehmen auch in Sachsen brauchen. Doch in Betrieben scheut man sich oft noch immer davor, Behinderte einzustellen. Fotos: Adobestock

Noch immer scheuen sich viele Betriebe, Menschen mit Behinderung einzustellen. Oft liegt das an Vorurteilen. Der Fachkräftemangel rückt das Thema mehr in den Fokus. Er sollte aber nicht der einzige Grund zum Umdenken sein.

Manchmal ist es „nur“ der fehlende Aufzug. Manchmal sind es vor allem die Vorurteile auf der anderen Seite des Schreibtisches. Menschen mit Behinderung kennen die meisten Gründe, aus denen ihre Bewerbungen für Jobs abgelehnt werden, sehr gut. Denn noch immer tun sich Unternehmen schwer, wenn es darum geht, Behinderte einzustellen.

In ganz Sachsen leben rund 150.000 schwerbehinderte Männer und Frauen im erwerbsfähigen Alter. Viele von ihnen stehen tatsächlich in Lohn und Brot, andere suchten bislang vergeblich nach einem passenden Arbeitsplatz. Das ist aus mehreren Gründen fatal. „Die Integration von Menschen mit Behinderungen in den Arbeitsmarkt ist nicht nur eine Frage der sozialen Verantwortung. In diesen steckt auch – entgegen mitunter vorhandener Vorurteile – ein signifikantes Fachkräftepotenzial, auf welches wir angesichts der demografischen Entwicklung dringend angewiesen sind“, so Steffen Leonhardi, Geschäftsführer operativ und Vizechef der Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit. Entscheidend sei nicht, was jemand nicht kann, sondern welche Stärken und Talente er oder sie mitbringe. „Mit den richtigen Unterstützungsmöglichkeiten, wie finanzierten Arbeitshilfen oder gezielten Förderprogrammen, können Menschen mit Behinderungen ihr volles Leistungspotenzial entfalten und für jedes Team eine echte Bereicherung sein“, so Steffen Leonhardi weiter.

Support-Netzwerk hilft in Sachsen

Der Tag der Menschen mit Behinderung im Dezember ist nur ein Anlass, das Thema in den Fokus zu rücken. Viele weitere finden sich im normalen Arbeitsalltag. Zu diesem gehört in vielen Firmen inzwischen auch die Tatsache, dass Stellen länger unbesetzt bleiben als geplant. Das bedeutet eine Mehrbelastung für die anderen Mitarbeiter, erhöht Druck, Stress und damit auch die Wahrscheinlichkeit krankheitsbedingter Ausfälle. Oft ist die Personaldecke so dünn, dass schon eine Krankmeldung mehr Produktion, Dienstleistungsangebot oder reguläre Öffnungszeiten gefährdet.

Fakt ist aber auch: Rund ein Viertel der Betriebe mit mehr als 20 Mitarbeitern in Sachsen beschäftigt keine Menschen mit Behinderungen. Dabei gebe es „zahlreiche Möglichkeiten, die Hürden abbauen und eine Win-win-Situation schaffen“.

Denn verstecken müssen sich behinderte Arbeitssuchende nicht. So haben von den aktuell 9.200 arbeitslosen Schwerbehinderten im Freistaat insgesamt 67 Prozent einen Berufsabschluss oder eine akademische Ausbildung. „Damit waren Menschen mit Beeinträchtigungen besser qualifiziert als der Durchschnitt aller Arbeitslosen. Von allen 138.500 arbeitslos gemeldeten Frauen und Männern haben 59 Prozent eine Berufsausbildung oder einen akademischen Abschluss“, heißt es aus der Arbeitsagentur.

Arbeitgeber, die ihre Beschäftigungspflicht nicht oder nur teilweise erfüllen, müssen eine Ausgleichsabgabe an die Integrationsämter zahlen. In Sachsen ist das der Kommunale Sozialverband (KSV). Die Ausgleichsabgabe betrug für das Anzeigejahr 2022 zwischen 140 und 360 Euro pro Monat. Mit dem Gesetz zum inklusiven Arbeitsmarkt wurde zum 1. Januar 2024 eine erhöhte Ausgleichsabgabe für diejenigen Betriebe eingeführt, die ihrer Beschäftigungspflicht nicht nachkommen. Für diese Arbeitgeber kann die Ausgleichsabgabe je nach Betriebsgröße auf bis zu 720 Euro monatlich steigen.

Ein Grund mehr, das Thema Inklusion vielleicht doch noch einmal auf die interne Tagesordnung zu setzen – und sich im Zweifel Hilfe zu holen. Das Dienstleistungsnetzwerk Support etwa berät seit mehr als zehn Jahren Unternehmen, die Menschen mit Behinderungen beschäftigen oder die Einstellung Behinderter planen. In Sachsen gibt es drei Standorte – in Dresden, Leipzig und Chemnitz. Die Unterstützung durch die Mitarbeiter dort ist für die Betriebe kostenlos. Sie wird durch die Ausgleichsabgabe mitfinanziert.

Ein Tipp der Berater: Eigene Vorurteile hinterfragen und offen auf behinderte Bewerber zugehen. Wichtig sei „eine Unternehmenskultur, in der sich Menschen mit Behinderung willkommen fühlen“. Manchmal könne das schon durch ein Unternehmensmotto oder ein explizit beworbenes Leitbild geschehen. „Für kleine Betriebe ist das oft schwer. Sie können aber durch Aktionen vor Ort Glaubhaftigkeit vermitteln, zum Beispiel einen Sportverein fördern oder in Schulen gehen. Das sehen die potenziellen Bewerberinnen und Bewerber“, sagt etwa Daniel Wiener. Er ist Koordinator beim Dienstleistungsnetzwerk Support und unterstützt vor allem kleinere Betriebe in der Region Chemnitz und im Erzgebirge beim Thema Inklusion. Seine Erfahrung: „Menschen mit Behinderung besitzen mehr Arbeitskräftepotenzial, als manche vielleicht annehmen. Sie sind genauso individuell und vielfältig wie nichtbehinderte Menschen.“